Die Wilhelma in die Zukunft führen
Lokführer, Astronaut, Zoodirektor: Wilhelma-Chef Dr. Thomas Kölpin hat einen der Jobs, der bei vielen Kindern früher ganz oben auf der Berufs-Wunschliste stand. Seit zehn Jahren ist der gebürtige Hamburger Direktor des Zoologisch-Botanischen Gartens in Stuttgart. Dabei wollte er als kleiner Junge eigentlich Tierforscher werden. Nach dem Biologiestudium arbeitete er vier Jahre im Hamburger Tierpark Hagenbeck, 2009 übernahm er die Leitung des Thüringer Zooparks in Erfurt. 2014 wurde er Direktor der Wilhelma. „Es hatte mich gereizt, einen großen, international renommierten Zoo zu führen“, sagt Kölpin. Allerdings ist sein Beruf eher ein Manager- als ein Traumjob, wie sein eng getakteter Terminkalender zeigt: Kölpin trägt nicht nur die Verantwortung für 330 Mitarbeitende und ein jährliches Budget von 26 Millionen Euro, sondern letztlich auch für die rund 11.000 Tiere und 8.500 Pflanzenarten auf dem 30 Hektar großen Gelände am Neckar.
In den letzten zehn Jahren hat der Zoologisch-Botanische Garten Stuttgart seine Attraktivität massiv gesteigert: Im europäischen Zoo-Ranking ist er von Platz 14 auf Platz 5 gerutscht, auch beim Preis-Leistungs-Verhältnis liegt die Wilhelma weit vorne. „Mir ist es wichtig, dass sich Familien den Besuch leisten können“, betont Kölpin. 2023 konnten rund 1,8 Millionen Besucher*innen empfangen werden – eine halbe Million mehr als 2016. Dazu haben sicher auch die von ihm neu eingeführten Veranstaltungsformate wie die Artenschutztage, der Kindertag und der Christmas Garden beigetragen. Einen Run auf die Eintrittskarten gibt es auch an Halloween: Seit 2015 ergänzt an diesem Tag schaurig-schöner Gruselspaß das Zoo-Erlebnis.
Zehn große Bauprojekte wurden unter Kölpins Ägide in der Wilhelma verwirklicht, darunter die Schneeleopardenanlage, das neue Haus für Kleinsäuger, Vögel und Insektivoren und als „absolutes Highlight“ die im Juli 2023 eröffnete Terra Australis. „Ich bin sehr stolz, dass wir es geschafft haben, dass die Koalas dort jetzt auf dem Baum sitzen“, sagt er. Vier Jahre hatte der Umbau des alten, nicht mehr zeitgemäßen Menschenaffenhauses in die attraktive Anlage mit Nachttierhaus-Segmenten gedauert, beharrlich und über Jahre hinweg hat der Wilhelma-Direktor darauf hingearbeitet, die zwölf Tierarten, die nun in der Terra Australis wohnen, an den Neckar holen zu können.
Auch das Engagement für den Artenschutz hat Thomas Kölpin energisch vorangetrieben. Wurden 2014 etwa 30.000 Euro für Artenschutzprojekte ausgegeben, ist dieser Betrag im letzten Jahr (2023) auf über eine Million Euro angestiegen – auch dank des Artenschutzeuros, der seit 2018 im Eintrittspreis enthalten ist. „Meine Vision von der Wilhelma ist eine Artenschutzorganisation, die einen zoologisch-botanischen Garten betreibt“, sagt Kölpin. Die Tiere und Pflanzen im Zoo sind für ihn auch Botschafter für ihre Artgenossen in der freien Natur, die vom Klimawandel und anderen menschlichen Eingriffen bedroht sind. „Mit ihnen können wir auf eine sympathische Art und Weise auf wichtige Themen aufmerksam machen, ohne gleich den erhobenen Zeigefinger auspacken zu müssen“, so der Direktor.
Ein Zoo muss sich stetig weiterentwickeln, in die Haltung und den Bau neuer Anlagen fließen stets die neuesten Erkenntnisse zum Tierwohl ein. Als seine „Schicksalsanlage“ bezeichnet Kölpin den Neubau des Elefantengeheges. Die menschenbezogene Haltungsform, wie sie jahrzehntelang in Zoos praktiziert wurde, ist mittlerweile out. Stattdessen soll die Wilhelma eine neue Elefantenwelt bekommen, die in drei Bereiche unterteilt werden kann, um den natürlichen sozialen Bedürfnissen der Dickhäuter entgegenkommen zu können: „Elefanten sind Tiere, die in Phasen ihres Lebens Zusammenleben und Trennung brauchen“, sagt Kölpin, der seit März 2018 Vorsitzender der Elefanten-Spezialistengruppe der europäischen Zoovereinigung EAZA ist. In einer solchen „Fission-Fusion“-Anlage ist eine getrennte Haltung der Geschlechter möglich: Elefantenkühe mit ihrem Nachwuchs, eine „Junggesellenherde“ und einzelne Bullen können wie in der Natur getrennte Wege gehen. Die Wilhelma wird der erste Zoo weltweit sein, der diese Vorgabe erfüllt. Ob es die neue Anlage wie geplant 2025 in den Landeshaushalt schafft, steht allerdings noch in den Sternen: „Wir stehen da natürlich in Konkurrenz zu anderen Bauprojekten des Landes“, so Kölpin.
Die größte Herausforderung der letzten zehn Jahre ist die Corona-Pandemie gewesen – und das nicht nur wegen der Einnahmen, die während der sieben Monate währenden Schließzeit komplett weggefallen waren. In den Phasen, in denen der Zoologisch-Botanische Garten Stuttgart öffnen durfte, mussten die sich ständig ändernden Hygienekonzepte umgesetzt und Sicherheitskräfte eingestellt werden, die die Einhaltung der Maßnahmen überwachten. Das Personal wurde in zwei Teams aufgeteilt, die sich nicht begegnen durften: „Es musste vermieden werden, dass zum Beispiel die Orchideengärtner*innen oder die Elefantenpfleger*innen komplett ausfallen“, so Kölpin. Aktuell sind die gestiegenen Energiepreise und die hohe Inflation sehr belastend, die die Kosten für Futter, Löhne und die aktuellen Bauprojekte in die Höhe treiben.
Ans Aufhören denkt der 55-Jährige, der mit seiner Familie auf dem Gelände der Wilhelma wohnt, noch lange nicht. Daneben ist Dr. Kölpin seit 2016 Mitglied im Führungsgremium (Council) der europäischen Zoovereinigung EAZA und seit 2022 Schatzmeister der Organisation. Viel Spaß macht ihm auch die Lehrtätigkeit an der Uni Stuttgart im Fachbereich Tiergartenbiologie und Systematik: „Ich freue mich, dem Nachwuchs etwas mit auf den Weg geben zu können.“
Und was ist das Lieblingstier eines Zoodirektors? „Schon von Berufs wegen liegen mir alle Tiere am Herzen“, betont Thomas Kölpin. Derzeit sind aber die drei Quokkas in der Terra Australis seine Favoriten: „Eigentlich kleine unscheinbare Kängurus, aber mit einer positiven Ausstrahlung“, sagt er. Die Wilhelma ist übrigens der einzige Zoo in Europa, der Quokkas halten darf. Außerhalb Australiens gibt es die putzigen Beuteltiere nur noch in einem weiteren Zoo in Japan zu sehen.
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